Der DHB-Vize spricht über seine Reise nach Magdeburg, den ausgesetzten Spielbetrieb im Handball und die Wohngruppen im Waldhaus Hildrizhausen
Hans Artschwager aus Hildrizhausen ist gerade jetzt, in Zeiten des Coronavirus, an vielen Fronten gefordert: als Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, Präsident des Handballverbandes Württemberg und als Geschäftsführer im Waldhaus Hildrizhausen.
Artikel vom 16. März 2020 – 16:18
Von Michael Stierle
Hallo Herr Artschwager, in Ihrer Funktion als Vizepräsident des Deutschen Handballbundes hatten Sie für sich den Besuch des Länderspiels am Freitagabend in Magdeburg vorgesehen, das am späten Donnerstagabend abgesagt wurde. Wo hat Sie die Absage erreicht?
Das stimmt so nicht ganz. Ausgemacht war im Vorfeld des Länderspiels eine Präsidiumssitzung. Die hatte ich auch eingeplant, danach wäre ich aber sofort zurück nach Stuttgart, weil am gleichen Abend der Bezirkstag in Waiblingen stattfinden sollte, hätte mir das Länderspiel also gar nicht angeschaut. Danach aber haben sich die Ereignisse bekanntlich überschlagen. Ich hatte in kürzester Zeit allein 70 Telefon-Nachrichten auf meinem Handy.
Wie sahen denn genau Ihre Reisepläne aus?
Am Donnerstagabend bin ich nach Magdeburg geflogen . .
. . . mit welcher Gefühlslage sind Sie denn ins Flugzeug gestiegen? Die Zwei-Meter-Abstandsregel zu anderen Personen lässt sich dort kaum realisieren.
Na ja, ich bin nicht so erschrocken, hatte auch seit Jahren keine Grippe. Auf Flughäfen geht man größeren Ansammlungen halt aus dem Weg, und im Flieger war immer ein Sitz frei zwischen den Passagieren. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wer nur damit behaftet ist, kann keine rationalen Entscheidungen treffen, wie sie gerade von uns allen gefordert sind.
Was passierte am Freitag in Magdeburg?
Vormittags sollte der DHB-Ausschuss zusammenkommen, am Nachmittag das Präsidium. Wir haben uns dann aber sofort mit allen Präsidiumskollegen zusammengesetzt, um eine gemeinsame Linie wegen der Krise um den Coronavirus zu finden. Dazu haben wir uns auch mit den Kollegen in den Landesverbänden verständigt. In Rheinland-Pfalz beispielsweise wurde bereits begonnen, die Hallen zu schließen. Dazu war auch noch eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern vor Ort, die direkt aus dem Risikogebiet Südtirol kamen und in häusliche Quarantäne überstellt wurden. Man sieht, es ist viel auf einmal passiert. Wichtig war uns, mit einer Stimme zu reden – von der Bundesliga bis zu den Amateuren. Und sich dabei an den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu orientieren. Das ist uns mit der Aussetzung des gesamten Spielbetriebs bis 19. April auch gelungen.
Der Handballverband Württemberg, (HVW) dessen Präsident Sie sind, hatte bereits am Vortag in einer Pressemitteilung verkündet, alle Spiele bis einschließlich 19. April einzustellen. Hand aufs Herz, Sie waren auch selbst lange Jahre Trainer: Glauben Sie wirklich, dass die Mannschaften, von denen sicher auch die meisten der Empfehlung folgen, sämtliche Trainingsaktivitäten komplett herunterzufahren, nach diesem 19. April in der Lage sind, von Null auf Hundert wieder in den Spielbetrieb einzusteigen?
Ehrlich gesagt, daran zu glauben fällt mir persönlich in der Tat schwer. Zumal das Robert-Koch-Institut davon ausgeht, dass die Krise ihren eigentlichen Höhepunkt erst im Juni erreichen wird. Entscheidend für uns ist, eine über alle Ligen gemeinsame Lösung zu finden. Dazu braucht es Zeit, um darüber nachzudenken, und die haben wir jetzt erst einmal gewonnen. Dazu gehört, auch mal in die Satzung zu schauen, um festzustellen, ob gewisse Entscheidungen auch vor einem Sportgericht Bestand haben.
Gehört der Abbruch der aktuellen Saison zu den denkbaren Szenarien dazu?
Natürlich. So wie beim Eishockey oder Volleyball, dort wurde ganz konsequent vorgegangen. Diese Lösung suchen wir noch, die für ganz Handball-Deutschland gilt.
Mit welchen Folgen für die Auf- und Abstiegsregelung? Und was heißt das beispielsweise für die geplante Neueinführung einer Verbandsliga bei Männern und Frauen?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Nimmt man den aktuellen Tabellenstand, wäre das sicher ungerecht gegenüber den derzeitigen Tabellenletzten. Macht man einen Cut nach der Hinrunde, fängt man mit der Saison 19/20 im September noch einmal von vorne an? Dafür nehmen wir uns jetzt die Zeit. Wichtig ist, wie gesagt, dass die Entscheidung auch gerichtsfest sein wird.
Zum HVW gehören auch zahlreiche Bundesliga-Vereine. Haben Sie von dort schon Rückmeldungen bekommen, wie existenzgefährdend die aktuelle Lage mit auf einen Schlag ausfallenden Zuschauereinnahmen sein kann?
Einzelschicksale sind verständlich, aber in der momentan Situation geht es ausschließlich um die Gesundheit, da muss man vielleicht auch einmal unpopuläre Entscheidungen treffen. Und wenn ich lese, dass es in Stuttgart bis Sonntag 80 Corona-Infizierte gab, wäre es vielleicht doch besser gewesen, das Zweitliga-Spiel des VfB Stuttgart gegen Arminia Bielefeld nicht vor Publikum auszutragen. Ich bin dankbar, mit anderen Präsidenten wie Matthias Schöck vom Württembergischen Fußballverband oder Martin Walter von den Volleyballern in ständigem Austausch zu sein, um gemeinsam Dinge zu überlegen. Dazu gehört auch die Frage von Kurzarbeitergeld gerade bei den Bundesligisten. Außerdem brechen bei allen Vereinen so viele Veranstaltungen und damit auch Einnahmen weg, dass ich mir angesichts der von der Bundesregierung vorgestellten Hilfsmaßnahmen durchaus vorstellen könnte, das Jahr 2019 für die Vereine steuerfrei zu stellen. Das würde ihnen auf jeden Fall helfen.
Ganz anderes Thema: Im Hauptberuf sind Sie Geschäftsführer im Waldhaus Hildrizhausen, eine sozialpädagogische Einrichtung der Jugendhilfe. Wie wirkt sich die derzeitige Ausnahmesituation auf das Zusammenleben dort in den einzelnen Wohngruppen aus?
Im Moment ist es so, dass jeder irgendeinen kennt, der wiederum einen kennt, der aus einem so genannten Risikogebiet kommt. Wir werden die Verhaltensregeln auf jeden Fall verbindlich festlegen, das gilt auch für die Kollegen in der Familienhilfe, die sich vor ihren Besuchen auf jeden Fall noch einmal erkundigen sollen, ob Familienmitglieder derzeit erkrankt sind. Dazu sind wir angehalten, Vorkehrungen für eine eventuelle häusliche Quarantäne zu treffen. Wir können unsere Bewohner ja nicht heim schicken wie die Schulen und Kindertagesstätten das ab Dienstag machen, für sie ist das Waldhaus ihr Zuhause. Ich bleibe aber auch dabei, mit Bedacht an die Sache ranzugehen, auch noch einmal solch simple Dinge wie das Händewaschen einzuüben und in Ruhe entsprechende Mechanismen aufzubauen, sollte sich das Szenario weiter verändern, wovon leider auszugehen ist.